Rund um Windelfrei kursieren viele Ammenmärchen. Ich habe mal die fünf größten aufgegriffen und zeige dir, was es mit diesem weit verbreiteten, jedoch nur scheinbarem Wissen auf sich hat. Ich widerlege einen Teil der Mythen und Vorurteile, die mir in den letzten Jahren am häufigsten begegnet sind.

Ammenmärchen Nr. 1: Das Baby trägt bei Windelfrei nie eine Windel

Ich gebe zu, der Begriff Windelfrei ist etwas irreführend. Dabei bedeutet es nur, dass das Baby für den Zeitpunkt seiner Ausscheidungen frei von einer Windel sein kann. Der englische Begriff für Windelfrei ist hier viel besser: Elimination Communication (kurz EC) bedeutet Ausscheidungskommunikation. Darum geht es nämlich bei Windelfrei: mit dem Baby über seine Ausscheidungen zu kommunizieren und zu reagieren, wenn es mal muss. Und dem Baby dann zu helfen, außerhalb seiner Windel auszuscheiden.

Wie ist es wirklich?

Ganz viele Windelfrei-Babys tragen sehr oft oder sogar die meiste Zeit Windeln. Das können Wegwerf- oder Stoffwindeln sein. Windeln sind ein hilfreiches Werkzeug für die Eltern. Manchmal geht da auch was rein, das ist okay. Schließlich gibt es Momente im Leben, in denen der Zeitpunkt zum Abhalten nicht passt oder die Eltern es schlichtweg nicht mitbekommen, dass ihr Baby mal muss. Dafür ist so eine Windel dann echt praktisch.

Ammenmärchen Nr. 2: Da kackt das Baby dann überall hin

Oder anders ausgedrückt: ständig überall Pipi und nasse Hosen. Tatsächlich dachte ich das selber auch, als ich zum ersten Mal von Windelfrei gehört habe. Das war, als mein Schwager und seine schwangere Frau uns erzählten, dass sie mit ihrem Baby ab Geburt Windelfrei machen wollen. Das kann doch gar nicht funktionieren! Oder?

Ist das wirklich so?

Da ein Baby nicht dauerhaft ausläuft, ist weder das kleine noch das große Geschäft überall zu finden. Schließlich ist der Schließmuskel ab Geburt aktiv (hier eine Studie aus dem Jahr 2000). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Babys auch bei Windelfrei ganz oft eine Windel tragen (siehe Ammenmärchen Nr. 1). Es kann natürlich mal zu nassen Hosen kommen, wenn der richtige Zeitpunkt zum Abhalten verpasst wurde. Aber die gibt es auch beim klassischen Töpfchentraining (siehe hierzu Ammenmärchen Nr. 3).

Ammenmärchen Nr. 3: Das ist verfrühtes Sauberkeitstraining und schädlich fürs Baby

Dieses Vorurteil bzw. diese falsche Annahme kursiert leider häufig unter Schwiegermüttern, Nachbarn, Tanten und anderen Personen, die sich bisher noch nicht mit dem Thema Windelfrei beschäftigt haben. Dazu können im Übrigen auch Kinderärzte zählen, da Windelfrei kein Bestandteil des Studiums ist.

Stimmt das oder ist es anders?

Töpfchentraining bedeutet für einige Menschen, dass Kinder zu einer bestimmten Zeit auf den Topf gesetzt werden und dann Stuhlgang produzieren sollen. Daher entsteht der falsche Eindruck, dass die Babys bei Windelfrei auch zu bestimmten Zeiten kacken sollen. Das ist aber ein komplett anderer Ansatz und widerspricht der Idee bzw. der Herangehensweise beim Abhalten von Babys. Windelfrei ist KEIN Töpfchentraining oder verfrühtes Sauberkeitstraining. Weil bei Windelfrei nur auf das natürliche Ausscheidungsbedürfnis des Babys eingegangen wird. Wir reagieren ab Geburt (oder etwas später) darauf, wenn es mal muss und halten es dann ab. Damit kann man Babys von Anfang an das Gefühl geben „Wir reagieren darauf, wenn du auf Toilette musst und wir helfen dir dann auch dabei.“ Es ist also Teamwork. Dabei geht es um die Kommunikation mit dem Baby und es ist bedürfnisorientiert. Schließlich helfen wir den Kleinen ja auch bei weiteren natürlichen Bedürfnissen, wie zum Beispiel der Ernährung (solange, bis sie sich ihr Essen selber holen können.) 😉

Töpfchen mit Pipi daneben

Wenn es mal daneben geht? Wischen, waschen, lächeln.

Ammenmärchen Nr. 4: Windelfrei ist super zeitaufwändig, total unpraktisch und nur was für Vollzeitmuttis

Das sind in der Tat Aussagen, die ich schon oft gehört habe. Ich vermute, dass Personen, die das glauben, nur einen kleinen Teil über Windelfrei wissen. Nämlich, dass man das Baby zum Ausscheiden auszieht und über ein geeignetes Gefäß hält. Der Irrglaube ist hier oft, dass frau dafür ihr Baby ständig beobachten sollte und das Kind ja dauernd muss (siehe auch Ammenmärchen Nr. 2). Oder dass es immer, also für wirklich jedes Pipi und Kacka, abgehalten werden muss.

Ist da etwas Wahres dran und wenn ja, was?

Laut meiner ersten Hebamme ist Windelfrei etwas für Faule, weil das Saubermachen einfacher und schneller geht. Die Ausscheidungen landen dabei direkt im Waschbecken oder in der Toilette, anstatt einen Umweg über die Windel zu nehmen. Dazu können sich Eltern Windeln, Feuchttücher und so Zeugs sparen. Ob du dein Baby ein paar mal am Tag wickelst oder stattdessen abhältst, ist immer ein gewisser Zeitaufwand. Tatsächlich ist es so, dass Windelfrei anfangs etwas mehr Zeit beansprucht, dies aber weniger wird, je älter das Kind wird. Schau dir hierzu gerne Nicolas Familien-Energieerhaltungssatz an. Später sparst du dir sogar das Töpfchentraining, weil ein regelmäßig abgehaltenes Baby das Gefühl für seine Ausscheidungen behält. Zwischendurch können Windeln genutzt werden (siehe Ammenmärchen Nr. 1). Zudem muss Windelfrei nicht 24/7 gemacht werden, sondern kann individuell an jeden Familienalltag angepasst werden. Wie das geht, lernen die Teilnehmer übrigens in meinen Kursen.

Ammenmärchen Nr. 5: Windelfrei geht nur in warmen Ländern

Ein paar Leute glauben, dass Windelfrei nur in warmen Ländern geht. Beziehungsweise, dass man das nur machen kann, wenn die Babys keine oder nur wenig Klamotten tragen. Das kommt vermutlich von der Vorstellung, dass die Eltern so spät verstehen, wenn das Kind mal muss, dass die Kleidung vom Kind weggerissen wird. Dadurch gibt es oft nasse Klamotten, die dort dann locker trocknen können.

Wie sieht es in Wirklichkeit aus?

70-80 % der Weltbevölkerung nutzen keine Windeln. Weil sie es unhygienisch finden oder tatsächlich keinen Zugang zu Windeln haben. In der Tat ist es für Naturvölker keine große Sache – sie kennen es nur so. Abhalten ist für sie ganz normal. Prinzipiell ist Windelfrei überall möglich. Wenn Eltern und Kinder sich gut einspielen, erkennen Eltern frühzeitig, was los ist und können dann in aller Ruhe reagieren. Natürlich ist es einfacher, wenn ein Baby keine oder wenig Kleidung trägt. Aber zum Beispiel auch Eskimos/Inuit halten ihre Kinder ab und dort ist es nun wirklich nicht besonders warm. Bei Windelfrei geht es um die Kommunikation mit den Babys über ihre Ausscheidungen. Also um den Umgang und die Reaktion der Eltern gegenüber ihren Kindern diesbezüglich. Ob und wie viel abgehalten wird und ob Windeln dabei benutzt werden, ist individuell unterschiedlich.

Fazit

Windelfrei ist kein Hexenwerk und durchaus im Alltag umsetzbar. Das Abhalten von Babys ist auch keine neue Erfindung, sondern altes Wissen bzw. ein ganz natürlicher Vorgang, der die Menschheit schon sehr lange begleitet. Es wurde nur im Zuge der Industrialisierung und seit Erfindung der Wegwerfwindel vergessen bzw. verdrängt. Daher ist es total verständlich, dass diese Ammenmärchen existieren.

Wenn du Hilfe bei der Umsetzung brauchst, dann wende dich gerne an einen Windelfrei-Coach deiner Wahl oder direkt an mich.