Heute hat unsere große Tochter Geburtstag. Vor 5 Jahren haben wir also das „Projekt Windelfrei“ gestartet und sie das erste Mal abgehalten. Wir wussten nicht genau wie es geht, hatten nicht viel Ahnung von Zeichen, geschweige denn von Timing und haben es trotzdem einfach probiert. Irgendwie verrückt, aber im Rückblick total schön und für uns logisch. Heute möchte ich euch ein paar meiner Gedanken mitteilen, wie windelfrei in der Gesellschaft oder von uns selbst wahrgenommen wird.

Warum so früh?

Warum soll ein Baby lernen in eine Windel auszuscheiden wenn es dann ein paar Jahre später nicht mehr in die Windel machen soll? Wenn das Baby uns zeigt, dass es mal muss, dann können wir das nutzen und es abhalten (= zum Ausscheiden ohne Windel/Hose über ein Gefäß halten). In einem Großteil der Welt ist das immer noch eine Selbstverständlichkeit. Weil es dort keine Windeln gibt, es als unhygienisch empfunden wird und weil es dort ganz natürlich ist. So wie übrigens vor einigen Jahrzehnten auch noch bei uns. Zudem hat es gesundheitliche Vorteile (weniger Koliken, weniger oder kein Windelausschlag, Nabelbrüche können ohne Operation heilen, seltener Verstopfung), wirkt sich positiv auf das Körperbewusstsein des Kindes aus und fördert die Bindung zum Kind. Babys kommunizieren von Anfang an (auch über ihre Ausscheidungen) und wenn wir die Signale aufgreifen, fühlt sich das Baby in all seinen Bedürfnissen wahrgenommen und ist zufriedener. Windelfrei ist kein Töpfchentraining! Windelfrei ist Kommunikation!

Bild aus der Facebook-Gruppe „Geschichte der Säuglingspflege“, Originalquelle unbekannt

„Ja, aber! Wir haben uns doch weiterentwickelt und die Wegwerfwindel erleichtert uns den Alltag!“

Windeln können uns den Alltag erleichtern. Ob das nun Wegwerf- oder Stoffwindeln sind bleibt wohl Geschmacksache. Nun kommt mein ABER gegen die Wegwerfwindel: sie ist und bleibt ein Wegwerfprodukt, das die Umwelt belastet und die aufgrund des Absorbers im Inneren (das, was von der Industrie so schön mit „bis zu 12 Stunden trocken“ beworben wird) dem Kind die Möglichkeit nimmt, den Zusammenhang zu lernen zwischen Druck auf der Blase und nass werden. Das kann unter anderem zu Bettnässen und einer verspäteten Sauberkeitsentwicklung führen.

Mit Wegwerfwindeln ist es wie mit vielen anderen zunächst scheinbar nützlichen Errungenschaften der Zivilisation: Man merkt erst viel später, dass sie das Leben nicht leichter machen, sondern schwieriger. Seit Pampers & Co wickeln viele Eltern ihre Kinder heute nicht mehr zwei Jahre, sondern drei, vier oder sogar mehr. Davon sind sie (Eltern und Kinder) enorm gestresst – aber keiner möchte darüber reden. Insofern halte ich Wegwerfwindeln definitiv für einen Rückschritt. Wenn wir die Windel allerdings als Tool (Hilfsmittel) und nicht als tragbare Toilette sehen, dann kann sie uns in der Tat helfen.

„Das macht doch sonst keiner!“

Vielleicht bist du die Einzige in deinem unmittelbaren Umfeld, die Windelfrei macht oder machen möchte. Aber du bist damit nicht alleine. Ca. 80% der Weltbevölkerung nutzen keine Windeln (das ergab mal eine Recherche von Nicola Schmidt). Und das nicht nur in warmen Gegenden oder Entwicklungsländern. Da die Industrie mit Windelfrei kein großes bzw. gar kein Geld verdienen kann, macht sie dafür natürlich auch keine Werbung. Die natürliche Säuglingspflege ist hierzulande in Vergessenheit geraten. Viele haben einfach noch nie davon gehört. Aber diese „kleine Idee“ wird durch viele fleißige Helferlein (Windelfrei- und Artgerecht-Coaches und neue Literatur) wieder bekannter gemacht und findet immer mehr Freunde und Mitmacher. Als ich vor Jahren mit meinem ersten Baby in diverse Krabbelgruppen ging fühlte ich mich schon recht exotisch, ein wenig wie ein Alien unter all den „normalen Pampers-Muttis“. Beim zweiten Kind war ich da viel entspannter. Jeder findet seinen Weg und ich denke, dass ich einfach Glück hatte, rechtzeitig von Windelfrei zu erfahren.

„So öko bin ich nicht!“

Das dachte ich anfangs auch mal. Aber hey: Why not? Was ist verkehrt daran, auf die Umwelt zu achten? Wir haben nur diese eine Erde! Und was genau ist eigentlich öko an Windelfrei? Ich achte auf die Signale meines Babys, gehe auf seine Kommunikation ein, helfe ihm beim ausscheiden und spare ganz nebenbei Windeln. Das finde ich überhaupt nicht öko, sondern ziemlich cool! Wahrscheinlich wirst du in der heutigen Zeit damit auffallen. Es ist (noch) kein Mainstream. Aber wir sind so oder so alle Individuen. Gehe deinen eigenen Weg! So wie er für DICH richtig ist. Und nicht für jemand anderen.

„Das ist doch nicht normal!“

Öhm, doch! Ganz klar! Nur nicht für jeden. Nicht immer und überall. Ich finde es nicht normal, sein Baby in seinen Ausscheidungen liegen zu lassen, wenn es anders geht. Und wenn ich weiß, wie es anders geht. Wir haben auch Windeln bei unseren Babys verwendet. Hauptsächlich Stoffwindeln. Aber ebenso Wegwerfwindeln. Und spezielle Windelfrei-Bekleidung. Weil sie für uns passend war und uns den Alltag erleichtert hat. Für den Gang aufs Klo wurde die Windel dann eben ausgezogen. Machen wir ja mit unserer Bekleidung auch. Also ganz normal. Ach ja: was überhaupt ist denn normal? 😉

„Eigentlich ist es ganz logisch!“

Dieser Ausspruch kommt in vielen meiner Kurse und Beratungen häufig von Männern. Damit meinen sie, dass sie es logisch finden, dem Baby nicht erst beizubringen in eine Windel zu machen und ein paar Jahre später über Sauberkeitserziehung wieder davon abzubringen, sondern dem Baby von Anfang an zu zeigen, dass es außerhalb der Windel Pipi und Kacka machen kann.

Meiner Meinung nach macht es tatsächlich Sinn, einem Baby hinsichtlich seiner Ausscheidungen die gleichen Rechte und Möglichkeiten einzuräumen, die auch ein größeres Kind oder ein Erwachsener hat. Babys sind kleine Menschen, keine andere Art. Und beim Essen, Schlafen und Anziehen helfen wir unseren Babys ja auch. Also warum nicht auch beim Gang zur Toilette?

Zusammenfassend: Windelfrei ist für mich ökologisch wertvoll, dem Kind gegenüber wertschätzend und bedürfnisorientiert. Ausscheiden und Abhalten ist genauso natürlich wie Essen und Schlafen. Ich finde es logisch, dem Baby von Anfang an zu ermöglichen außerhalb einer Windel auszuscheiden, anstatt ihm die Windel anzutrainieren und Jahre später wieder abzutrainieren. Es kann (und sollte) Spaß machen, wenn man es entspannt angeht und sieht, dass es eine ganz natürliche Sache ist. Windelfrei bringt viel für Bindung, Umwelt, Gesundheit und Geldbeutel. Jeder hat seinen eigenen Windelfrei-Weg. Trau dich und finde deinen!

Wie ist dein Gefühl hinsichtlich windelfrei? Bist du glücklich damit? Fühlst du dich als Exot? Oder zweifelst du manchmal? Was sind deine Erfahrungen? Schreibe gerne etwas in den Kommentar! Und wenn du dich vor Ort in Hamburg mit anderen Windelfrei-Eltern austauschen möchtest, dann komm gerne in meine offenen Windelfrei-Treffen.