Als Windelfrei-Coach habe ich immer wieder auch mit angrenzenden Themen wie beispielsweise Stoffwindeln, Stillen, Tragen und Schlafen zu tun. Zudem mache ich als Coach des Artgerecht Projektes mindestens alle zwei Jahre eine Rezertifizierung, also eine Fortbildung aus dem Angebot und Themenspektrum des Artgerecht Projektes. Als ich in diesem Zusammenhang zum ersten Mal von einer Ausbilderin von Kinästhetik Infant Handling hörte, musste ich nochmal nachfragen. Kinä … was? Das war vor einigen Jahren (ungefähr 2018 oder 2019) in Zusammenhang mit Windelfrei. Ich war fasziniert und wollte mehr darüber erfahren. Dieses Thema finde ich sehr wichtig für Eltern und die Entwicklung ihrer Kinder.

Im Januar 2021 nahm ich schließlich an zwei Online-Modulen (wegen Corona) teil, bei eben dieser Ausbilderin: Liane Emmersberger. Im September 2022 besuchte ich dann endlich einen dreitägigen Grundkurs in Präsenz, den Liane in Hamburg gab.

Obwohl ich selber keine Kurse oder Ausbildungen in Kinästhetik Infant Handling gebe, möchte ich hier nun beschreiben, worum es dabei geht. Rückblickend hätte ich nämlich gerne schon vor 10 Jahren davon gewusst, um es bei meinen eigenen Kindern anzuwenden (mehr dazu unter „Was bringt KIH dem Baby?„). Zudem beeinflusst es meine Arbeit als Windelfrei-Coach und hilft, dieses Wissen an Eltern weiterzutragen.

Der Begriff ist ungewöhnlich, sofern man nicht in der Pflege oder als Artgerecht-Coach tätig ist. Kinästhetik Infant Handling kommt von Kinästhetik, daher werde ich zuerst diesen Begriff kurz erklären. Was das mit Infant, also Kind, zu tun hat, beschreibe ich dann natürlich auch.

Was ist Kinästhetik? – Der Oberbegriff

Für die Pflege wurde ein Konzept entwickelt, wie Krankenpfleger ihre Patienten bewegen, mobilisieren und positionieren können. Der Ansatz dabei ist, dies an den Ressourcen des Patienten zu orientieren. Also: was kann der Patient noch, wo braucht er Unterstützung oder Hilfe. Und wie kann ich diesen Menschen kraft- und bewegungsökonomisch bewegen. Dabei wird weniger getragen und gehoben. Sondern es geht darum, die Anatomie des Menschen zu nutzen. Das bedeutet, spiraldynamische Bewegungen in den Alltag zu integrieren und zu nutzen, um Patienten zu bewegen. Es geht darum, die Patienten in ihrer Bewegung zu unterstützen und zu fördern. Hinzu kommt eine geringere physische Belastung der pflegenden Person, was die Arbeit mit den Patienten erleichtert.

Handling – ein eingedeutschter Begriff

Handling kommt aus dem Englischen und wird übersetzt mit Bedienung, Behandlung, Handhabung, Umgang, Fahrverhalten, Umschlag, Bearbeitung, Hantierung, Abfertigung, Berühren, Erledigung, Bewältigung, Gebrauch, Abwicklung und weiteren zahlreichen Übersetzungsvorschlägen (Quelle: Leo.org). Oft wird es aber auch mit „das Handling“ übersetzt und damit ist meist Handhabung, Gebrauch gemeint.

Was ist Kinästhetik Infant Handling (KIH)? – Unterstützung der Bewegungsentwicklung beim Kind

Beim Kinästhetik Infant Handling (KIH) geht es nicht um erwachsene Patienten, sondern – wie der Name (Infant) es schon verrät – um Kinder. Wie beim Erwachsenen mache ich mir dabei gewisse Grundlagen zunutze. Ich weiß, wo ich ein Kind anfasse, von wo ich es bewege und wie ich in einen Bewegungsdialog komme und weg von Heben und Tragen.

Es geht darum, wie ich ein Kind in seiner Bewegungsentwicklung unterstütze und wie ich herauskomme von passivem von A nach B tragen hin zu einem „Hallo Baby, ich bewege dich jetzt von A nach B“. Wichtig dabei ist auch der Blickkontakt zum und mit dem Baby, weil ich mit den Augen die Bewegung einleite. Dies hat positive Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes und fördert und stärkt auch die Bindung zwischen Kind und Eltern.

Bewegungsentwicklung findet jeden Tag statt, daher geht es beim KIH um die alltägliche Bewegung und das generelle Handling. Es betrifft also Aufnehmen und Hinlegen des Babys, Wickeln, Anlegen zum Stillen, Tragen des Kindes, Hineinsetzen und Herausnehmen aus dem Autositz und zahlreiche andere Situationen im Umgang mit dem Kind.

Wozu mache ich Kinästhetik Infant Handling (KIH)? – Kommunikation und Bindung

Abgesehen davon, dass es für mich als erwachsene Person bewegungsökonomischer und kräfteschonender ist, hat auch das kinästhetisch bewegte Kind dadurch einige Vorteile.

KIH gibt mir eine nonverbale, taktile Kommunikationsform an die Hand, wie ich mit einem neugeborenen Kind sprechen kann. Ich bekomme von dem Baby, mit dem ich diesen Bewegungsdialog eingehe, eine Antwort. Wenn ich es drehe oder bewege, bekomme ich eine Antwort, ob ich zu schnell, zu langsam, zu unachtsam bin oder ob ich es sinnvoll mache.

Wenn ich ein Baby immer nur hebe und trage, bekomme ich diese Antworten nicht. Es geht um achtsame Kommunikation und Bewegung des Babys und ist der erste Bindungsbaustein vor Stillen, Tragen oder Abhalten. Weil all diese Alltagstätigkeiten nicht ohne Berührungen gehen. Dabei wird übrigens nicht nur das Kind bewegt, sondern auch ich bewege mich mit. Um ein Baby zu bewegen, nutze ich seine Kontaktzonen und Bewegungszonen.

Was sind Kontaktzonen und was sind Bewegungszonen?

Kontaktzonen sind hart und stabil. Also zum Beispiel die Füße, die Oberschenkel, der Oberkörper, das Becken, die Arme und der Kopf. Der Kontakt an den Extremitäten ist weniger intim als am Kopf. Als Kontaktzonen eigenen sich besonders die Außenseite des Knies sowie die Sprunggelenksebene oder die Ferse.

Bewegungszonen sind die Gelenke und müssen frei bleiben, damit das Kind bewegt werden kann. Es geht um großflächige Berührungen, anstatt zu greifen.

Was bringt KIH dem Baby? – Vorteile und Prävention

Man kann es auch als Bewegungsdialog bezeichnen. Beim KIH kann sich das Baby, zum Beispiel beim spiraldynamischen Aufnehmen vom Boden, an dem Prozess beteiligen, aktiv seine Knochen schützen und es lernt so, Muskulatur aufzubauen.

Diese bewegungsorientierte Kommunikationsform (KIH) bietet den Eltern neue Möglichkeiten zur Entwicklungs- und Bindungsförderung von gesunden, kranken und behinderten Kindern.

KIH ist der erste und wichtigste Bindungsbaustein, neben Stillen, Tragen, Familienbett und Windelfrei (abhalten). Denn der erste Schritt zur Bewegung ist Berührung. Jede Berührung schüttet Oxytocin, das Bindungshormon schlechthin, aus und reduziert die Stresshormone Adrenalin und Cortisol.

Und noch viel wichtiger: Mit einem achtsamen kinästhetischen Säuglingshandling können möglicherweise Lernschwierigkeiten, Bettnässen, Lese-Rechtschreibschwäche, motorische Störungen und muskuläre Dysbalancen präventiv vorgebeugt werden, da die frühkindlichen Reflexe in die natürlichen Bewegungsabläufe, im Sinne der natürlichen Bewegungsentwicklung, integriert werden (siehe ausführlich auf der Webseite von Liane Emmersberger).

Oben erwähnte ich, dass ich gerne früher von KIH gewusst hätte. Dazu eine kleine persönliche Geschichte: Wir haben unser erstes Kind im Babyalter viel passiv oder auch „statisch“ aufgenommen und hingelegt und dadurch unbewusst immer wieder den Moro-Reflex ausgelöst. Dieser frühkindliche Reflex ist überlebenswichtig und hilft dem Baby zum Beispiel nach der Geburt beim ersten Atemzug. Sobald ein frühkindlicher Reflex (es gibt mehr als 15 Stück) seine Aufgaben erfüllt hat, wird er nicht mehr gebraucht und integriert (manche sagen auch abgebaut oder unterdrückt dazu). Wenn er aber – wie bei uns – durch falsches Handling immer wieder ausgelöst wird, „denkt“ das Gehirn, dass dieser Reflex so wichtig ist, dass er behalten werden muss. Dies kann dann bestimmte Entwicklungsbereiche des Kindes blockieren oder stören. In unserem Fall haben wir in der 3. Klasse bemerkt, dass unsere Tochter unter anderem Konzentrationsschwierigkeiten hat und Probleme bei der Rechtschreibung. Wir sind schließlich zu einer Reflexintegrationstrainerin und -therapeutin gegangen, die unsere Tochter getestet und die drei festgestellten, „noch offenen“ frühkindlichen Reflexe behandelt hat. Da dies leider von den Krankenkassen nicht anerkannt wird, handelt es sich um eine selbst zu zahlende Dienstleistung.

Wo und wie kann ich KIH lernen?

Beim KIH ist es extrem hilfreich, die Bewegungen am eigenen Körper zu erfahren und zu üben. Dadurch erfährt und spürt man, worauf es ankommt und was diese – anfangs teilweise ungewöhnlichen – Bewegungsabläufe mit einem machen. Danach fällt es einem leichter, dies auf den Bewegungsumgang mit dem Baby zu übertragen. Es gibt inzwischen auch einige Videos im Internet, die viele Situationen zeigen, aber ich finde es einen riesigen Unterschied zum Üben bzw. Umsetzen in der Realität.

Daher empfehle ich wirklich, einen Präsenz-Kurs zu besuchen. Wo und bei wem du das machst, bleibt dir überlassen. Achte darauf, dass der Veranstalter nicht nur eine kurze Fortbildung, sondern eine richtige Ausbildung darin gemacht hat. Mir haben die Kurse von Liane sehr gut gefallen. Du findest unter den folgenden Links ihre Kurse, ihren Instagram-Account und ihren YouTube-Kanal. (Empfehlung von Herzen, offiziell unbezahlte Werbung).

Nach einem Kurs heißt es dann: dranbleiben und üben. Nur so kann sich das neu Gelernte verfestigen. Ein Kurs lohnt sich meiner Meinung nach nicht nur für dein Kind, sondern auch für dich selber, weil du lernst, dich bewegungsökonomischer und körperschonender zu bewegen.

Ingrid Holscher und Liane Emmersberger

Liane und ich in einer Pause des Präsenzkurses.

Ergänzende Anmerkungen

Da wir seit November 2023 Hundehalter sind, habe ich mich gefragt, ob es das auch für Hunde gibt. Im Internet habe ich fast nur generelle Hinweise zum Handling, also dem allgemeinen Umgang, mit Hunden gefunden. Ich entdeckte den Begriff „Canine Kinaesthetics“, aber keine weiteren Informationen oder Links dazu. Bei meiner Recherche stieß ich auch auf den Begriff Equikinetic, bei dem es um Übungen und Training mit Pferden geht. Inwieweit dies mit Kinästhetik zu tun hat, kann ich nicht beurteilen.

Spiraldynamische Bewegungen und diese ganzen anderen Fachbegriffe hören sich für dich eventuell etwas seltsam an. Dies ging mir anfangs auch so. Bis ich gesehen und gespürt habe, was damit gemeint ist. Videos sind hierbei schon hilfreicher in der Erklärung als ein Text, noch besser ist die Erfahrung am eigenen Körper und das Durchführen der Bewegungen an anderen Personen.

In meinen Windelfrei-Kursen gebe ich übrigens auch weiter, was ich bei Liane gelernt habe und was in Bezug auf Windelfrei hilfreich ist. Dies ist allerdings nur ein kleiner Einblick ins kinästhetische Handling mit Babys. Für einen tieferen Einstieg in dieses interessante Thema empfehle ich dir einschlägige Literatur und/oder einen KIH-Präsenzkurs.

Wenn das Abhalten von Babys (=Windelfrei) für ich interessant ist, dann melde dich gerne bei mir oder komm in einen meiner Kurse. Die Daten stehen unten auf meiner Startseite.